Kahlfraß eindämmen - Eichen retten

Schwammspinnerraupe. Foto: Appleby J E, U.S. Fish and Wildlife Service, CC0 1.0
(16.5.2020) Etwa 3.000 ha Eichenbestände werden durch die Behandlung mit dem Pflanzenschutzmittel Mimic® vor der Entlaubung durch den Schwammspinner geschützt. Aktuell durchläuft diese Insektenart nach den Untersuchungen der ↗Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) im westlichen Franken eine Massenvermehrung. Daher ist 2020 in manchen Waldflächen erneut mit Kahlfraß zu rechnen, der das Absterben der Eichen erwarten lässt. Deshalb ist eine Behandlung zum Schutz der Wälder erforderlich.
„Die Behandlung akut von Kahlfraß bedrohter Waldbestände gegen den Schwammspinner ist eine notwendige Maßnahme zum Erhalt der Eichenwälder, die auch einen hohen naturschutzfachlichen Wert haben. Mit der Behandlung wollen wir einen schleichenden Verlust verhindern. Ansonsten werden Einzelbäume absterben und – wenn das über Jahre passiert – sich ganze Waldbestände auflösen. Wälder würden dann nicht nur anders aussehen, sie werden die vielfältigen Waldfunktionen auch nicht in der gleichen Weise erfüllen können. Es würde viele Jahrzehnte brauchen, bis neue Wälder einen vergleichbaren Zustand zu erreichen“, erläutert Dr. Andreas Hahn die Hintergründe. Er leitet die Abteilung Waldschutz an der LWF, die zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus den Abteilungen Naturschutz sowie IT/GIS die Maßnahme seit 8 Monaten vorbereitet.
Försterinnen und Förster der Ämter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, der Bayerischen Staatsforsten und kommunaler und privater Forstbetriebe, sowie der Forstbetriebsgutachten haben für die Prognose im Oktober und November 2019 über 3.000 Suchtrakte in den Eichen-und Eichenmischwäldern aufgenommen. Für die Pflanzenschutzmaßnahme wurden so über 30.000 Bäume auf Gelege untersucht, gefolgt von weiteren Beobachtungen auf Forschungsflächen, sowie Untersuchungen zur Vitalität und zum Virusbefall der Gelege. Erklärtes Ziel ist, die Pflanzenschutzmaßnahme auf die Fälle zu beschränken, in denen Wald akut von todbringendem Fraß bedroht ist.
Basierend auf diesem so genannten Traktverfahren wurden im Januar 2020 ca. 8.500 ha Kahlfraß-Gefährdungsflächen identifiziert. In Abstimmungen mit der Naturschutzverwaltung und den örtlichen Was-serwirtschaftsämtern wurde diese Gefährdungsfläche durch Fachleute der LWF auf die Belange Natur- und Gewässerschutz geprüft und die verschiedenen Gemeinwohlinteressen gegeneinander abgewogen. Oberstes Ziel ist, dass die als Lebensraum vieler Tier- und Pflanzenarten wertvollen Eichenwälder erhalten werden, bei der Behandlung aber auch keine seltenen Arten geschädigt werden. Neben Naturschutzgebieten wurden daher beispielsweise auch Vorkommen der besonderen Schmetterlingsarten wie des Heckenwollafters, der Ockerbraunen Herbsteule und des Frühjahrs-Kiemenfußkrebes von der Behandlung ausgenommen. Diese Arten sind auf Eichenwälder Frankens weitgehend angewiesen und wären als häutende Gliedertiere, die Blätter fressen oder im Wasser leben von der Behandlung mitbetroffen. Ähnliche Herausnahmen gibt es für besondere Vogelvorkommen (z.B. Baumfalke, Uhu, Mittelspecht, Ortolan). Zudem wurde um Wochenstubenquartiere von potenziell indirekt betroffenen Fledermaus-Arten ein Abstandspuffer gelegt, weil zum derzeitigen Kenntnisstand nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei manchen der Fledermausarten durch die Behandlung die Menge der Nahrungstiere vorübergehend reduziert wird. Des Weiteren werden festgelegte Abstände zu Gewässern und Siedlungen eingehalten.
„Durch diese umfangreichen, gewissenhaften Abstimmungen wurde die Gefährdungsfläche von 8.500 ha auf gut 3.000 ha potentielle Behandlungsfläche verringert. Dieser Prozess erfolgte in Abstimmung mit den Waldbesitzern und den Naturschutzbehörden“, so Hahn. Auf den Flächen wird das selektiv wirkende Pflan-zenschutzmittel Mimic® zum Einsatz kommen. Mimic® ist kein Kontaktgift, sondern muss durch Fraß aufgenommen werden. Es wirkt nur auf sich häutende Insekten, die Anfang Mai an Blättern fressen. Von den zur Verfügung stehenden Pflanzenschutzmitteln handelt es sich daher um das mit den geringsten Nebenwirkungen auf Nichtzielorganismen (s.u.). Es wird per Hubschrauber GPS-gestützt und flächenscharf über den Baumkronen versprüht. Behandelt werden ausgewählte Flächen von Eichen- und Eichenmischwäldern. Darstellungen eines großflächigen Gifteinsatzes widerspricht Hahn daher vehement. Die geplante Behandlung erfolgt gezielt und sehr kleinteilig auf 181 Waldstücken mit gut 400 Teilflächen verteilt.

Unzählige Schwammspinnerraupen am Stammfuß einer Eiche. Jede Schwammspinnerraupe frisst während Ihrer Entwicklung einen Quadratmeter Blattfläche. Das kann zur Entlaubung ganzer Wälder führen - Foto Hannes Lemme, LWF
Weitere Informationen zur aktuellen Schwammspinner Massenvermehrung in Franken finden Sie unter dem unten angegebenen Link oder im direkten Kontakt mit der Abteilung Waldschutz der LWF, sowie den örtlichen Ämtern für Ernährung, Landwirstchaft und Forsten.
Hintergrundinformation zum Schwammspinner:
Der Schwammspinner (Lymantria dispar) ist ein an Eichen und anderen Laubbaumarten lebender Schmetterling. Massenvermehrungen dieser Art werden durch den Klimawandel begünstigt. Sie können zu einem kompletten Fraß aller Blätter (Kahlfraß) eines Eichenbestandes führen. Die Raupen durchlaufen während ihrer Entwicklung, die witterungsabhängig 6 - 14 Wochen (von April bis Anfang Juli) dauert, bis zu sechs Larvenstadien. Eine Raupe frisst dabei etwa 1 m² Blattoberfläche. Der Blattfraß reduziert die Vitalität der Eiche maßgeblich und kann zum Absterben befallener Bäume führen. Ziel des Pflanzenschutzmitteleinsatzes ist es, Eichenbestände vor kompletten Fraß zu bewahren und lokal sehr hohe Dichten der Schwammspinnerpopulation abzusenken. Hierbei steht die Erhaltung der Eichenwälder als Lebensraum im Vordergrund.
Hintergrundinformation zu Eichenwäldern:
Die aus Stiel- oder Traubeneiche aufgebauten Wälder in Nordbayern gehören zu den artenreichsten Wäldern Mitteleuropas. „An keiner Baumgattung kommen hierzulande mehr spezialisierte Insektenarten vor“, wie Dr. Stefan Müller-Kroehling von der Abteillung Biodiversität, Naturschutz und Jagd der LWF erläutert. Er koordiniert die naturschutzfachliche Herausnahme von Flächen für die Behandlung. Besonderheit dieser Wälder sei jedoch, dass sie unter hiesigen Verhältnissen nur entstehen, wenn Waldbesitzer und Förster die Eichen gezielt anbauen und pflegen. Ohne uns Menschen gäbe es hierzulande praktisch keine Eichenwälder. Sie sind ein Kulturwald für den Naturschutz, weswegen man auch von „sekundären Waldtypen“ spreche. Gesunde Eichen seien zwar widerstandsfähig gegen einmaligen Kahlfraß – viele der Eichenwälder Bayerns seien aber z.B. durch Luftschadstoffe und übermäßige Nährstoffeinträge aus der Luft, sowie durch eingeschleppte Schädinge wie den Eichenmehltau vorgeschädigt.
Hintergrundinformation zum gewählten Pflanzenschutzmittel:
Mimic® ist ein Pflanzenschutzmittel, das vor allem im Obst- und Weinbau gegen Schmetterlingsraupen ein-gesetzt wird. Für den Einsatz im Wald und die Ausbringung mit Luftfahrzeugen wurde es von den zuständigen Bundesoberbehörden nach Artikel 51 VO (EG) Nr. 1107/2009 zugelassen. Mimic muss als Fraßmittel von den Raupen aktiv aufgenommen werden und wirkt dann als Häutungsbeschleuniger. Nach dem Fraß kommt es unmittelbar zum Fraßstopp, dann wird der Häutungsprozess eingeleitet und die Raupen verenden. Andere Schmetterlingsraupen, die nicht Anfang Mai an Blättern fressen und blattfressende Insekten wie Käfer oder Blattwespen, werden durch das Mittel nicht beeinträchtigt.
Die LWF hat für die Pflanzenschutzmittelbehandlung dieses Mittel ausgewählt, das es von den in Frage kommenden Alternativen die geringsten Nebenwirkungen auf Nichtzielorganismen hat. Auf Bienen geht von der Bahndlung keine Gefahr aus (B4 = nicht bienengefährlich).
(LWF)
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