Lückenlose Weltkarte der Baumarten-Vielfalt
(25.2.2019) Von der biologischen Vielfalt (Biodiversität)
unseres Planeten kennen wir an den meisten Orten nur einen kleinen
Ausschnitt. Forschern des Deutschen Zentrums für integrative
Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg (MLU) ist es nun gelungen, eine Weltkarte der Vielfalt
von Baumarten zu erstellen. So konnten sie untersuchen, welche
Einflussfaktoren diese Vielfalt bestimmen. Das Klima spielt eine
zentrale Rolle; zudem hängt die Anzahl der Arten in einem Gebiet aber
auch von der räumlichen Skala der Betrachtung ab. Dies berichten die
Forscher in Nature Ecology and Evolution. Die neue Methode könnte
helfen, den weltweiten Artenschutz zu verbessern.
Rund um die Erde verändert sich die biologische Vielfalt dramatisch;
der Schutz der Biodiversität ist zu einer der größten Herausforderungen
unserer Zeit geworden. Gleichzeitig wissen wir noch wenig darüber,
warum manche Gegenden eine sehr hohe und andere eine vergleichsweise
niedrige Artenvielfalt aufweisen, und wo die artenreichsten Gebiete
unserer Erde liegen. Auch sind die Gründe oft unklar, warum manche
Gegenden artenreicher sind als andere: Welche Rolle spielen
Umweltfaktoren wie das Klima und wie bedeutsam sind vergangene
Ereignisse wie zum Beispiel Eiszeiten für die Biodiversität von heute?
Unser Wissen beruht auf einzelnen Bestandsaufnahmen und ist sehr
lückenhaft – gerade in den tropischen Regionen, wo die Artenvielfalt
besonders hoch sein kann. Die gesamte Erde flächendeckend zu
untersuchen, um alle Lücken zu schließen, ist jedoch schlichtweg
unmöglich.
Satellitenbilder können manche Datenlücke schließen, zum Beispiel
bei der Erfassung von Baumbeständen. Doch haben diese Techniken ihre
Grenzen. „Wir müssen die Bäume nicht nur zählen, sondern auch bestimmen, welche Arten es sind“, erklärt der Erstautor der neuen Studie, Dr. Petr Keil. „In
den Tropen finden wir Hunderte verschiedene Baumarten auf einem
einzigen Hektar. Diese können wir nur vor Ort bestimmen. Deshalb wurden
die meisten Gegenden auch noch nicht auf ihre biologische Vielfalt
untersucht – und werden es wahrscheinlich auch nie.“ Keil und
Co-Autor Prof. Jonathan Chase sind Wissenschaftler am Deutschen Zentrum
für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und an der
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Keil und Chase wollten trotz lückenhafter Daten eine Weltkarte der
Baumartenvielfalt erstellen. Dazu sammelten sie in einem ersten Schritt
weit über 1.000 Baumartenlisten. Diese kamen einerseits von kleinen
Untersuchungsflächen, die in vorangegangen Studien erforscht wurden,
andererseits von ganzen Staaten. Für die meisten Staaten der Welt ist
bekannt, welche Baumarten dort vorkommen, allerdings nicht, wo diese
genau wachsen und ob eine bestimmte Art selten oder häufig ist. Um für
die ausgedehnten weißen Flächen auf der Weltkarte die Baumartenvielfalt
berechnen zu können, entwickelten die Forscher ein statistisches Modell.
Der Clou daran: Das Modell kombiniert die versprengten Daten aus
einzelnen Untersuchungsflächen mit den Informationen auf Staatenebene.
Es integriert außerdem bekannte Daten zu Umweltfaktoren wie dem Klima.
Das Ergebnis ist eine lückenlose Karte aller bewaldeten Gebiete der
Erde.

Die erste weltweite Karte der Baumarten-Vielfalt, erstellt mithilfe des neuen Modells. Die Karte illustriert die Anzahl der Baumarten, die auf Flächen von jeweils einem Hektar zu erwarten sind. Die größte Artenvielfalt (orange bis gelb) findet sich in den heißen, trockenen Tropen. Bei den verbleiben-den weißen Flächen handelt es sich um unbewaldete Gebiete. Abbildung: Petr Keil und Jonathan Chase

Betrachtet man die Baumarten-Vielfalt auf der Skala größerer Regionen, ergibt sich ein anderes Bild. Eine besonders hohe Anzahl an Arten (orange bis gelb) wird nun in Bergregionen beobachtet, etwa in Süd-China, Mexiko oder dem äthiopischen Hochland – alles Regionen mit hoher Beta-Diversität. Abbildung: Petr Keil und Jonathan Chase
„Es ist wie ein 1.000-Teile-Puzzle, von dem wir nur wenige
Puzzleteile hatten, und von dem wir auch das Gesamtbild nicht kannten”, sagt Jonathan Chase. „Mit unserem Ansatz konnten wir die fehlenden Teile berechnen und das Puzzle zusammensetzen.”
Die neue Methode ermöglicht es den Forschern, die Baumartenvielfalt für
unterschiedlich große Flächen zu berechnen, zum Beispiel für ein
Naturschutzgebiet, für einen Staat oder für einen ganzen Kontinent.
Dadurch konnten sie untersuchen, welche Einflussfaktoren die Variation
der Baumartenvielfalt auf unserem Planeten bestimmen. Die Analyse hat
gezeigt, dass das Klima der wichtigste Faktor ist: Die höchste
Baumartenvielfalt findet sich in den feuchtwarmen Tropen. Dennoch
unterscheidet sich die Baumartenvielfalt zwischen verschiedenen Orten
gleichen Klimas zum Teil erheblich. Im südlichen China zum Beispiel
finden die Forscher eine Vielfalt, die deutlich größer ist als in
klimatisch ähnlichen Regionen.
Dabei ist jedoch wichtig: Wie viel „Extra-Vielfalt“ an Orten wie China zu finden ist, hängt von der Sicht des Betrachters ab. „Wenn
man in einem Wald steht und die Anzahl der Arten um einen herum zählt,
wird einem der Unterschied zwischen China und einer klimatisch ähnlichen
Region wahrscheinlich gar nicht auffallen. Erst wenn man von einem
Standort zum nächsten wechselt und die Arten zusammenzählt, die man an
mehreren Standorten gesichtet hat, wird deutlich, wie artenreich China
ist“, sagt Jonathan Chase.

Wenn man direkt im Wald um Yading (Nyidên), China steht, mag einem die Anzahl an Arten in der näheren Umgebung nicht besonders hoch erscheinen. Der Charakter des Waldes ändert sich jedoch schlagartig wenn man sich bergauf, bergab oder ins nächste Tal bewegt. Foto: Adrien Favre/Senckenberg

Ein anderes Beispiel für ein Gebiet mit besonders hoher Variation an Waldtypen – und entsprechend hoher regionaler Artenvielfalt – ist das bergige Waldgebiet Harenna in Äthiopien. Foto: Laica ac from UK, CC BY-SA 0.2
Die Unterschiedlichkeit solcher benachbarter Standorte wird
Beta-Diversität genannt. Über eine größere Region gesehen bedingt sie
eine hohe Gesamtvielfalt. Keil und Chase konnten mit ihrer Analyse
zeigen, dass dieses Maß der Biodiversität in den trockenen (nicht den
feuchten) Tropen besonders hoch ist, vor allem dort, wo es gebirgig ist –
neben Süd-China zum Beispiel in Mexiko oder im äthiopischen Hochland.
Ein Grund für diese hohe Beta-Diversität könnten Ereignisse in der
geologischen Vergangenheit wie Eiszeiten sein. „Während der letzten Vereisung konnten die Bäume nur in Bergtälern überleben und wurden dadurch voneinander isoliert“, erklärt Petr Keil. „Wenn
man heute in einem dieser Täler steht, so sieht man eine mittelhohe
Anzahl von Baumarten. Aber wenn man über den Kamm klettert und ins
Nachbartal hinabsteigt, findet man andere Baumarten und im nächsten Tal
wieder andere.“
Keil und Chase geht es in erster Linie darum, zu verstehen, wie
Biodiversität auf dem Planeten verteilt ist und welche Faktoren dafür
verantwortlich sind. Aber ihr Modell kann auch dazu genutzt werden,
Strategien für den Naturschutz zu entwickeln, vor allem für Wälder,
deren Baumartenvielfalt noch nicht stark vom Menschen verändert wurde.
In den Bergen Chinas zum Beispiel reicht es nicht, nur ein Tal zu
schützen. Erst die Vielzahl der unterschiedlichen Täler macht den hohen
biologischen Wert dieser Gegend aus. „Um Biodiversität wirklich zu
verstehen und schützen zu können, müssen wir sie gleichzeitig auf der
lokalen und auf der regionalen Skala betrachten“, sagt Keil. „Wir
brauchen also sowohl die Perspektive des Naturforschers, der im Wald
steht, als auch das große Bild, das sich bei der Betrachtung eines
ganzes Staates ergibt. Unser Ansatz macht dies nun möglich.“
(Volker Hahn, Tabea Turrini)
Originalpublikation:
Keil, P., & Chase, J. M. (2019). Global patterns and drivers of tree diversity integrated across a continuum of spatial grains. Nature Ecology & Evolution. doi:10.1038/s41559-019-0799-0
(Volker Hahn, Tabea Turrini)
Originalpublikation:
Keil, P., & Chase, J. M. (2019). Global patterns and drivers of tree diversity integrated across a continuum of spatial grains. Nature Ecology & Evolution. doi:10.1038/s41559-019-0799-0
Links:
→ Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
→ Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU)