Föhren im Wasserdampf
Auf Gerüsten montierte Düsen sprühen mit Hochdruck winzige Wassertropfen in die Luft, die sogleich verdunsten und somit in den Baumkronen das Dampfdruckdefizit, den «Durst» der Luft, reduzieren. Gleichzeitig wird die Bodentrockenheit mit Hilfe einer Bewässerungsanlage und Regendächern manipuliert. Foto: M. Schaub
(3.9.2024) Forschende der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL und der EPFL sprühen Wasserdampf in die Baumkronen von ausgewachsenen Föhren im Pfynwald im Wallis. Das Großexperiment soll aufdecken, welchen Einfluss Boden- und Lufttrockenheit auf Waldbäume im Zuge des Klimawandels haben.
Etwas Eigenartiges geschieht seit diesem Frühsommer in den Baumwipfeln des Walliser Pfynwalds: Zahlreiche Düsen, an hohen Gerüsten montiert, sprühen mit Hochdruck Wasserdampf in die 12 m hohen Wipfel von ausgewachsenen Wald-Föhren. Die Installation ist Teil des weltweit einzigartigen Experiments VPDrought ↗, das die Auswirkungen von Boden- und Lufttrockenheit in einem natürlichen Waldökosystem entflechten soll.
Der Wasserdampf erhöht die Luftfeuchtigkeit - Eine ausgeklügelte Technik zerstäubt mit Hochdruckdüsen Wasser zu winzigen Tröpfchen, die so rasch verdunsten, dass weder die Bäume noch der Boden nass werden. Das Projekt hat zum Ziel zu verstehen, wie heiße und trockene Bedingungen die Resilienz von Wäldern beeinflussen und welche Prozesse zum Absterben von Bäumen führen.
Denn das Klima wird heißer und trockener, so, wie es heute schon vielerorts im Wallis ist. Die Folgen machen sich bereits bemerkbar: Im Kanton Wallis sowie in den benachbarten inneralpinen Trockentälern (Region Innsbruck, Niederösterreich, Süd-Steiermark, Vintschgau, Aostatal) sterben Waldföhren, an ihrer Stelle wachsen trockentolerantere Eichen nach. Warum und wie die verantwortlichen Prozesse ablaufen, erforscht die WSL im Pfynwald schon seit 21 Jahren. Sie bewässert jede Nacht Teile dieses Waldes, um die Bäume mit und ohne Trockenstress zu untersuchen.
Schon seit 21 Jahren bewässert die WSL jede Nacht Teile des Pfynwaldes, um die Bäume mit und ohne Trockenstress zu untersuchen. Foto: Michèle Kaennel Dobbertin
«Durstige» Luft verschlimmert Wassermangel - ein Teufelskreis
Nun bringt die Klimaveränderung einen weiteren beunruhigenden Umweltfaktor ins Spiel: den zunehmenden «Luftdurst». Je wärmer die Luft, desto mehr Feuchtigkeit kann sie aufnehmen. Dies führt dazu, dass die aufgeheizte Atmosphäre den Pflanzen und Böden mehr Wasser entzieht. Dieser «Durst» wird Dampfdruckdefizit, auf Englisch vapor pressure deficit (VPD), genannt.
Das VPD ist ein entscheidender Faktor dafür, wie viel Wasser die Bäume über Blätter oder Nadeln verdunsten, und hat somit großen Einfluss auf die Wasserversorgung und Kühlung der Pflanze. Mit steigenden Temperaturen ist zu erwarten, dass das VPD exponentiell ansteigt. Hohe VPD-Werte führen zu einer übermäßigen Verdunstung, wodurch die Pflanzen unter Trockenstress geraten können. Zusätzlich zu den direkten Auswirkungen auf die Pflanzenphysiologie beschleunigt ein hohes VPD die Verdunstung aus Böden, wodurch ein Teufelskreis aus Bodentrocknung, Erwärmung der Landoberfläche und Trockenstress für die Pflanzen entsteht.
Dampfdruckdefizit (VPD) von 28. bis 30. Juli 2024 in fünf verschiedenen Behandlungen im Pfynwald. Gelb: Kontrolle (= keine Behandlung), hellblau: Boden bewässert, rot: Boden trocken, dunkelblau: Boden bewässert + Luft VPD-Reduktion, grau: Boden trocken + Luft VPD-Reduktion. Quelle: VPDrought.wsl.ch
Was ist schädlicher, Boden- oder Lufttrockenheit?
Außergewöhnlich an VPDrought ist, dass dieses Experiment den Einfluss von Luft- und Bodentrockenheit in einem ausgewachsenen natürlichen Wald untersucht. Zu diesem Zweck bekommen die rund 130 Jahre alten Wald-Föhren zum einen unterschiedlich viel Bodenwasser: Entweder die natürliche Regenmenge von ca. 600 mm/Jahr, mittels Bewässerung das Doppelte (1200 mm/Jahr) oder unter einem Regendach nur die Hälfte der natürlichen Niederschläge, also ca. 300 mm/Jahr. Zum anderen verbreiten Hochdruckdüsen in einem Teil der Baumkronen tagsüber Wasserdampf. Der Wasserdampf vermindert das VPD – den «Durst» der Luft – um etwa 20 bis 30 Prozent.
Die Forschungsplattform Pfynwald besteht seit 2003 aus acht Parzellen mit je 100 m2 und rund 800 Bäumen. Vier Parzellen werden nicht bewässert. Sie bekommen im Schnitt 600 mm natürlichen Niederschlag pro Jahr. Auf den anderen vier Parzellen wird der natürliche Niederschlag durch Bewässerung verdoppelt. Seit 2024 wird der natürliche Niederschlag auf sechs Teilflächen um die Hälfte auf 300 mm/Jahr reduziert. Zusätzlich wird Wasser mit hohem Druck in die Baumkronen gesprüht, wo es verdampft und das Dampfdruckdefizit um 20 bis 30 Prozent reduziert. Quelle: VPDrought.wsl.ch
Die Untersuchungen werden von der Pflanzenzelle bis zur Baum- und Ökosystemebene durchgeführt. Das Experiment startete 2024 und läuft bis 2028, Ergebnisse werden in den nächsten Jahren vorliegen.
Ein steigendes VPD – also eine stets «durstigere» Luft – ist sowohl für die Landwirtschaft als auch für Wälder eine Herausforderung. Die kontinuierlichen und punktuellen Messungen von über 100 Parametern auf der Baum- und Ökosystemebene sollen Aufschluss geben, wie sich Luft- und Bodentrockenheit auf die Stoffwechselprozesse und die Resilienz der Wälder gegen Trockenheit auswirkt. Die Erkenntnisse tragen zu verbesserten Klima-Vegetations-Modellen bei und fließen in zukünftige Waldbaustrategien und die Wahl von Zukunftsbaumarten ein.
(Beate Kittl/Marcus Schaub/WSL)