Ist Skepsis vor Neophyten gerechtfertigt - Baum und Natur

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Ist Skepsis vor Neophyten gerechtfertigt?
Riesenbärenklau (Heracleum mantegazzianum, Syn.: Heracleum giganteum), auch Herkulesstaude oder Herkuleskraut genannt.
Riesenbärenklau (Heracleum mantegazzianum, Syn.: Heracleum giganteum), auch Herkulesstaude oder Herkuleskraut genannt.
Foto:  GerardM at nl.wikipedia, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0
(9.4.2023) Die Zuwanderung gebietsfremder Pflanzenarten in unsere Ökosysteme löst in der Öffentlichkeit überwiegend Unbehagen aus. Dabei werden Neophyten häufig mit invasiven Arten gleichgesetzt, die Schäden verursachen können. Ist eine Null-Toleranz oder eher ein gelassener Umgang mit den Neuankömmlingen sinnvoll?

Ob durch globalen Waren- und Personenverkehr oder Klimawandel: Pflanzen wandern. Medienberichte über die Auswirkungen neuer invasiver Pflanzen- und Tierarten in Mitteleuropa schrecken regelmäßig die Bevölkerung auf. Riesenbärenklau, Indisches Springkraut und Beifuß-Ambrosie aus dem Bereich der Flora oder Tigermücke, Asiatischer Marienkäfer und Grauhörnchen aus dem Bereich der Fauna sind Beispiele dafür.

Aktuelle Diskussion: negative Aspekte scheinen zu überwiegen

Der Riesenbärenklau ist in den 1960er Jahren als Futterpflanze aus dem Kaukasus eingeführt worden. Wenn er sich ungestört ausbreiten kann, ist er eine Gefahr für die Artenvielfalt. Außerdem sondert er eine Substanz ab, die bei Kontakt den natürlichen Sonnenschutz unserer Haut angreift und Reizungen verursacht. Andere Pflanzen wie die Beifuß-Ambrosie lösen bei empfindlichen Menschen Allergien aus. Mit der Folge, dass die Kosten für das Gesundheitssystem steigen. In der Landwirtschaft können neue Arten Probleme verursachen, weil sie mit den gängigen Herbiziden nur schwer bekämpfbar sind.

Zu Invasoren werden Neophyten dann, wenn sie sich wegen fehlender Gegenspieler und günstiger klimatischer Voraussetzungen auf Kosten der heimischen Arten massiv ausdehnen und/oder die menschliche Gesundheit gefährden. Die Kosten für Vorsorge und Beseitigung der Schäden durch invasive Pflanzen- und Tierarten variieren von Studie zu Studie. Allein die wirtschaftlichen Schäden werden für Deutschland im Zeitraum zwischen 1960 und 2020 auf über 8 Milliarden Euro geschätzt (Quelle: Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt).

Positive Aspekte

Alle zuwandernden Arten unter einen Generalverdacht zu stellen, wäre aber nicht gerechtfertigt. Es gilt die 10er Regel. Sie besagt, dass von 1000 Arten, die zu uns kommen, rund 100 Überlebenschancen haben. Davon etablieren sich 10 auf Dauer und nur eine Art hat invasives Potenzial.

Die Mehrzahl der Zuwanderer ist also unkritisch. Mehr noch: Sie bereichern unsere Artenvielfalt. Gerade im Hinblick auf den fortwährenden Klimawandel passen sich die Ökosysteme dadurch den veränderten Bedingungen schneller an. Viele Neophyten sind für uns schon lange unverzichtbar, wie zum Beispiel Kartoffel oder Tomate. Salzliebende Pflanzen, die oft die Ränder von Straßen und Autobahnen besiedeln, sind ebenfalls willkommen. Der Nutzen der meisten Neophyten ist unbestritten, die monetäre Bewertung aber schwierig.
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Neophyten oder invasive Art?

Als Neophyt gilt eine Pflanze dann, wenn sie nach 1492, also nach der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus, zu uns gekommen ist. Rund 12 000 Arten fallen darunter. Mit dem Stichjahr für die Abgrenzung zwischen heimischen Pflanzen und Neophyten soll die zunehmende Rolle des Menschen beim Wandel der Artenzusammensetzung herausgestellt werden. Damals wurden Scouts in die Neue Welt geschickt, um interessante Nutz- oder Zierpflanzen nach Europa zu bringen. Der weltweite Waren- und Personenverkehr hat in der Folgezeit zahlreiche Neophyten, zum Teil als blinde Passagiere, nach Europa gebracht. Dennoch ist die Wahl des Zeitpunkts willkürlich. Bereits durch Völkerwanderungen oder in der Römerzeit sind viele Pflanzen in neuen Regionen heimisch geworden. Nach der letzten Eiszeit sind fast alle jetzt heimischen Arten aus dem Mittelmeerraum oder Westasien nach Mitteleuropa eingewandert. Strenggenommen sind das alles Neophyten.

Konservativ oder liberal: Abwägung erforderlich

Ein konservativer Ansatz, also die Erhaltung des Ist-Zustands in der Artenzusammensetzung unserer Ökosysteme, ist in den meisten Fällen weder sinnvoll noch umsetzbar. Wir können das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen. Der permanente Wandel ist ein Lebensprinzip und damit der Normalzustand. Eine liberale Einstellung gegenüber einwandernden Arten ist grundsätzlich angebracht, handelt es sich in der Mehrzahl doch um harmlose Arten, die meist von selbst wieder verschwinden.

Die Situation stellt sich anders dar, wenn sich Arten als gefährlich herausstellen. Die Politik hat darauf reagiert: Auf EU-Ebene gibt es seit 2014 eine Verordnung über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten. In Deutschland sind alle Bürger aufgerufen, invasive Arten zu melden. Jedoch kennen nur wenige botanisch Interessierte die betreffenden Arten. Jeder Einzelne von uns kann einen Beitrag leisten. So sollte man im eigenen Garten keine exotischen Pflanzen mit allergenem Potenzial aus dem Urlaub mitbringen, im eigenen Garten anbauen und womöglich noch in der Natur entsorgen.

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