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Nachhaltige grüne Infrastruktur
Arboristik-Baumpflege-Baumschutz
Veröffentlicht in Stadtgrün · Freitag 11 Sep 2020
Prof. Jonas Reif: „Die besten Klimaanlagen  in Städten sind zweifellos Bäume - aber nur dann, wenn sie mit  ausreichend Wasser versorgt sind.“  Foto: BGL


(11.9.2020) Seit dem Herbst 2019 ist Jonas  Reif an der Fachhochschule Erfurt in der Fachrichtung  Landschaftsarchitektur zum neuen Professor für das Gebiet  "Pflanzenverwendung und Vegetationskonzepte" berufen.

Von 2011 bis 2018 war Jonas Reif  Verantwortlicher Redakteur der Ulmer-Fachzeitschriften „Gartenpraxis“  und „Gärten“. Darüber hinaus hat er mehrere Fachbücher zu Themen der  Pflanzenverwendung veröffentlicht.

Sie  forschen und lehren an der FH Erfurt im Fachbereich „Pflanzenverwendung  und Vegetationskonzepte“. Was sind Ihre Schwerpunktthemen?

Reif:  Neben allgemeinen Aspekten der Pflanzenverwendung, die den  standortgerechten Einsatz von Pflanzen sowie ästhetische und funktionale  Aspekte einschließt, beschäftige ich mich intensiv mit zwei Fragen: Was  können Pflanzen alles im urbanen Raum leisten? Und wie nachhaltig sind  Pflanzprojekte? Man kann das sehr gut unter dem Titel „Strategische  Pflanzplanung“ zusammenfassen.

Strategische Pflanzplanung klingt gut – was bedeutet das konkret?

Reif:  Die Pflanzplanung wird oft nur als eine Teilaufgabe der Freiraumplanung  angesehen. Damit bleibt sie aber hinter ihrem Potential zurück.  Angesichts zunehmender Verstädterung und dem Klimawandel wird eine  Stadtplanung gefordert, die die Überhitzung von urbanen Bereichen  vermindert (HeatResilientCity). Die besten Klimaanlagen in Städten sind  zweifellos Bäume - aber nur dann, wenn sie mit ausreichend Wasser  versorgt sind. Eine strategische Pflanzplanung sollte nicht nur  „Restflächen in der Stadt“ begrünen, sondern aktiv Bestandteil der  Architektur sein. Eigentlich sollten in Innenstädten gar kein Gebäude  mehr ohne aktiv bewässerte Gründächer und Baumreihen von deren Südseite  gebaut werden.

Stichwort Nachhaltigkeit: Bedeuten mehr Pflanzen nicht automatisch mehr Nachhaltigkeit?

Reif:  Wenn man die Gartencenter-Sortimente mit den vielen kurzlebigen  Pflanzen sieht, habe ich daran meine Zweifel. Aber auch der umgekehrte  Ansatz, Pflanzen ein langes Leben zu ermöglichen – zum Beispiel durch  die Schaffung optimaler Baumstandorte, muss nicht zwingend die  nachhaltigste Lösung sein. Warum nicht auch mal anspruchsarme  Pionierbaumarten in Straßen pflanzen, die nach 30 Jahre ausgetauscht  werden? Die Pflegekosten eines Baumes nehmen im Alter beträchtlich zu …  Lebenszykluskosten und CO2-Bilanzen sollten auch bei der  Pflanzenverwendung eine Rolle spielen.

Die  Folgen des Klimawandels zeigen sich verstärkt im bebauten Raum. Welche  Sortimente - insbesondere bei Gehölzen - haben Zukunft?

Reif:  Es ist naheliegend, dass Hitze- und Trockenstress ertragende Gehölze  inzwischen im Fokus stehen. Aber wenn wir vor allem in Innenstädten die  aktive Kühlfunktion wollen, dann brauchen wir auch Pflanzen, die - mit  künstlicher Bewässerung - maximal transpirieren. Der Klimawandel hat  gewiss viele Nachteile, aber nicht nur. Vor allem in Städten können wir  durch weniger Frosttage inzwischen auf ein größeres Sortiment an  Pflanzen zurückgreifen, einschließlich Palmen, Wüstenpflanzen und  australischem Eukalyptus.

Mehrere Bäume stehen in üppiger Vegetation
Prof.  Jonas Reif: „Mehr Artenvielfalt scheint die beste Prävention, um gegen  neue Krankheiten und klimabedingte Veränderungen gewappnet zu sein.“ Foto: BGL

Was wird in Zukunft nicht (mehr) funktionieren?

Reif:  Dies kann man weniger an konkreten Arten ausmachen. Vielmehr geht es  darum, dass wir falsche Pflanzen am falschen Standort vermeiden sollten.  Dies bedeutet in der Konsequenz auch, vorhandene Pflanzen zu ersetzen,  wenn sich die Rahmenbedingungen deutlich verschlechtert haben. Diese  Denkweise entspricht nicht unbedingt den Baumschutzsatzungen.

Groß gedacht: Wie stellen Sie sich die „Grüne Infrastruktur“ der Städte vor?

Reif:  Eine grüne Infrastruktur fängt damit an, dass neue Gebäude „grün“  geplant werden, also mit Pflanzenverschattung, bewässerten Gründächern  und Grauwassernutzung. In Innenstädten sollten selbst kleine Flächen  begrünt werden. In Straßen müssen Baumpflanzungen eine Vorrangstellung  gegenüber Medien und Parkplätzen erhalten. Das Thema Artenvielfalt  spielt eine wesentliche Rolle. Es wäre sinnvoll, wenn Behörden die in  den USA anerkannte 30/20/10-Regel nach Santamour beachten würden, die  eine höhere Diversität bei Baumpflanzungen zur Folge hätte.

Was besagt die 30/20/10-Regel?

Reif:  Maximal 30 Prozent aller in Straßen und Parkanalgen gepflanzten Bäume  sollen aus einer Pflanzenfamilie stammen, 20 Prozent aus einer Gattung  und 10 Prozent von einer Art – einige amerikanische Grünflächenämter  gehen sogar noch weiter (15/10/5). Mehr Artenvielfalt scheint die beste  Prävention, um gegen neue Krankheiten und klimabedingte Veränderungen  gewappnet zu sein. Demzufolge wären in vielen deutschen Städten die  Anteile an Linden, Spitz-Ahorn und Ahornblättriger Platane zu  reduzieren.

Soll man also in Zukunft verschiedene Baumarten in einer Straße verwenden?

Reif:  Soweit muss man nicht gehen. Aspekte wie Ordnung, Gliederung und  Identitätsstiftung spielen ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Auswahl  – da macht es schon Sinn, eine Straße mit derselben Art zu bepflanzen.

Kirschlorbeer,  Cotoneaster, Forsythie? Die Pflanzenauswahl ist heute anspruchsvoller  als noch vor zehn Jahren. Welche Bedeutung haben Pflanzenkenntnis und  -verwendungswissen in Zukunft?

Reif:  Dank vielfältiger Forschung, der Entwicklung von übertragbaren  Pflanzkonzepten (z.B. Staudenmischpflanzungen) und der Digitalisierung  steht uns heute ein großer Wissensfundus zur Verfügung, auf den jeder  zugreifen kann. Gute Pflanzenbestimmung-Apps erleichtern zudem das  Bestimmen von Pflanzen. Derartige Entwicklungen müssen auch in der Lehre  berücksichtigt werden. Es geht also immer stärker um die richtige  Anwendung, als um die Vermittlung von detailliertem Pflanzenwissen. Und  dennoch: Ohne einen soliden Grundstock an Pflanzenkenntnissen wird man  auch in Zukunft nicht auskommen, sie sind und bleiben die Basis für eine  standortgerechte Pflanzenverwendung.
(BGL)


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