Erstes Dorf in Lateinamerika muss wegen Klimakrise umziehen
Die Insel Gardí Sugdub. Foto: Cotopaxi5897, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0
(23.6.2024) Nach 14 Jahren Ungewissheit ist nun der Tag für die erste groß angelegte Umsiedlung einer lateinamerikanischen Gemeinde aufgrund des steigenden Meeresspiegels gekommen. Am 29. Mai weihte Panamas Präsident Laurentino Cortizo die Siedlung Isber Yala ein, die in einer Bergregion auf dem Festland Panamas liegt. Dort werden rund 268 Guna-Familien untergebracht, die ab Juni ihr althergebrachtes Zuhause auf der Insel Gardí Sugdub verlassen werden, um sich auf dem Festland niederzulassen.
Gardí Sugdup in der Guna Yala Provinz ist die am meisten bevölkerte der 365 Inseln des San Blas Archipels in der panamaischen Karibik, wo der klimabedingte Anstieg des Meeresspiegels bereits verheerende Folgen hat. Wenn es regnet oder die Flut steigt, wird der gesamte Ort überschwemmt, und alles deutet darauf hin, dass sich die Situation in Zukunft verschlimmern wird. Daten der Gezeitenstation des Smithsonian Tropical Research Institute (STRI) zeigen eine Erhöhung des Meeresspiegels in der Karibik während der letzten sieben Jahre von jährlich rund sechs Millimeter.
Die panamaischen Behörden bezeichneten die Einweihung von Isber Yala als historischen Moment. Jedoch gibt es bei Führungspersonen und Bewohner*innen der indigenen Guna Bedenken zur neuen Siedlung, da die Architektur der Gebäude und die Anordnung der Behausungen drastisch von den Bräuchen der Gemeinde abweichen.
Der Preis des Klimawandels
Angesichts des allmählichen Anstiegs des Meeresspiegels wurde während der Amtszeit des damaligen Präsidenten Juan Carlos Varela (2014-2019) angeboten, die Inselbewohner*innen auf das kollektive Land der indigenen Guna in den Llanos de Carti umzusiedeln.
Nach jahrelangem Warten wurde das 12,2 Millionen Dollar teure Projekt Isber Yala auf einem 22 Hektar großen Grundstück endlich eingeweiht, das sich circa 15 Minuten per Boot und Straße von der Insel befindet. In der Siedlung werden bis zu 300 Familien untergebracht, davon 268 aus Gardí Sugdup und 32 weitere indigene Familien, die zuvor schon nach Panama-Stadt ausgewandert waren und jetzt nach Isber Yala zurückkehren. Insgesamt sind es um die 1500 Personen, die ihre Hütten aus Schilf und Bambus verlassen werden, um ihre komplette Lebensweise an eine Bergregion anzupassen.
Die Umsiedlung war für den 3. bis 7. Juni angelegt und sollte in mehreren Abschnitten durchgeführt werden: Die Insel wurde in sechs alphabetische Blöcke ↗ von A bis F aufgeteilt, in denen jeweils etwa zehn Familien untergebracht sind. Am 3. Juni sollte beispielsweise der nordöstliche Teil der Insel umgesiedelt werden, beginnend mit Personen mit Behinderung, traditionellen Autoritäten oder Kaziken, bis nach und nach die mehr als tausend Personen auf der Insel in 14 Booten, die von Inselbewohner*innen zur Verfügung gestellt werden, die Insel verlassen – die von den Behörden bereitgestellte Boote nicht mitgerechnet. Die Umsiedlung sollte mit Unterstützung der Sicherheitskräfte und unter Beteiligung von 150 Beamt*innen sowie Beobachter*innen internationaler Organisationen durchgeführt werden.
Historisches Ereignis
Für die panamaischen Behörden handelt es sich um ein historisches Ereignis. „Dies ist der Preis des Klimawandels, die erste vom Klimawandel betroffene Insel, und Panama wird im Licht der Welt stehen”, erklärte Minister Roger Tejada zuvor gegenüber einem regionalen Fernsehen.
Die Reaktionen der indigenen Guna sind jedoch nicht ganz so positiv. „Das sind Streichholzhäuser”, sagte Dalys Morris, der das Umsiedlungskomitee von Anfang an geleitet hat, als der Umzug beschlossen wurde. Morris bezieht sich auf die 49 Quadratmeter großen Häuser die aus dem Kunststoff RVC gebaut sind, wie Rogelio Paredes, Minister für Wohnungsbau und Landverwaltung, gegenüber den Medien erklärte.
Zusätzlich zu den Häusern besitzt die neue Siedlung zwei große Hütten, die den Ort repräsentieren, wo sich die indigenen Anführer*innen treffen, sowie das Chicha-Haus, in der die Guna ihre kulturellen Traditionen ausüben. „Ich bin nicht mit der physischen oder architektonischen Struktur der Häuser einverstanden, es ist wie ein Stadtviertel von Panama (Stadt), für die Guna ist das zum Leben ungemütlich. Das wird teuer für uns, das tägliche Leben wird sich drastisch verändern, ganz zu schweigen von der Gastronomie”, kommentiert der Guna-Historiker Atilio Martinez gegenüber Mongabay Latam. Die tägliche Ernährung auf den Inseln basiere auf Meeresfrüchten, erklärt er; mit dem Umzug in die Berge werde die Realität eine andere sein.
Der Beginn eines drohenden Exodus
Obwohl ein Großteil der Guna-Gemeinschaft, darunter der Vorsitzende José Davies, nicht von den Auswirkungen des Klimawandels überzeugt ist, sind die wissenschaftlichen Daten deutlich. In der Bucht von Panama im Pazifik steigt der Meeresspiegel um etwa 1,5 Millimeter pro Jahr, während es in der Karibik, wo sich das Guna Yala Archipel befindet, sechs Millimeter pro Jahr sind, wie die Daten der Gezeitenstation der Universität von Hawaii aus den letzten sieben Jahren laut STRI zeigen.
Da viele der Inseln des Archipels weniger als einen halben Meter über der Hochwasserlinie liegen, „könnten diese bis zum Ende des Jahrhunderts verschwunden sein, mit möglichen Folgen für die Identität der Guna von einer Inselkultur zu einer Festlandkultur” so das STRI in einem Artikel ↗.
Anstieg des Meeresspiegels um einen halben Meter
Die Warnungen der panamaischen Behörden sind noch drastischer. Nach Angaben des Umweltministeriums wird der Meeresspiegel in den kommenden Jahren um schätzungsweise einen halben Meter steigen. „Die Prognose lautet, dass bis 2050 alle Inseln des Archipels verschwunden sein könnten“ sagte Vizeminister Batista in einem Interview über die Umsiedlung der Guna.
Steven Paton, Direktor des Monitoring-Programms des STRI, warnt jedoch, dass diese Schätzungen nicht genau wären. Mit Bezug auf den steigenden Meeresspiegel erklärt er, „es gibt viele Ungewissheiten, weil der Anstieg in manchen Jahren mehr ist, in anderen weniger; es gibt Zyklen von Anstiegen und Rückgängen aufgrund des Klimaphänomens El Niño, und obwohl es die Zahlen aus der Station in Hawaii gibt, reicht das nicht aus, um eine genaue Schätzung der aktuellen Tendenz widerzuspiegeln”. Dafür seien die Daten aus mindestens ein oder zwei kompletten Jahrzehnten nötig, die den Wissenschaftler*innen bisher nicht zur Verfügung stehen.
Unbestreitbar sei jedoch, so das STRI, dass der Meeresspiegel steige und die Inseln des Gebiets Guna Yala besonders gefährdet seien, wenn auch nicht als einzige. Angesichts dieser Tatsache müsse sich die Gesellschaft neu erfinden, sagt Paton, „denn es kann keine Millionen von Migranten geben, ohne große Auswirkungen zu verursachen“.
Aufregung und Sehnsucht nach einem neuen Leben
Manche Mitglieder der Gemeinde freuen sich über den Umzug, während sich andere Sorgen machen. „Für die Regierung ist dies vielleicht ein Fortschritt oder Entwicklung, aber welche Art von Entwicklung, Gemeinschaft, Fortschritt? Unsere seit tausenden Jahren bestehende Kultur ist nicht dasselbe wie eine aufgezwungene“, sagt der Historiker Martínez. „Wenn die Häuser doch wenigstens im Einklang mit unseren typischen Entwürfen wären.”
Die Regierungsbehörden betonen, dass indigene Bräuche respektiert worden seien. „Die Familien werden ihre Schuppen im hinteren Teil ihrer Häuser behalten dürfen, damit die Kultur oder die Tradition nicht verloren geht”, betonte Armando Palacios, Direktor des Nationalen Zivilschutzes (Sinaproc) in seinen Erläuterungen zu dem bevorstehenden Umzug. Jedoch räumte Vizeminister Batista auf Nachfrage ein, er „hätte dieses Projekt so nicht durchgeführt. Das haben wir von der vorherigen Regierung geerbt”. Kulturelle Aspekte müssten berücksichtigt werden, bekräftigte er.
Genau dieser Punkt macht der Handwerkerin Keila Morales Sorgen. Seit Monaten sucht sie ein Boot, um ihre Sachen in ihr neues Zuhause zu bringen. Sie lebt gemeinsam mit ihrer Mutter in Cartí Sugdup, doch „die Familien wachsen und die Häuser haben schon keinen Platz mehr für die Kinder”, erzählt die 39-jährige Handwerkerin gegenüber Mongabay Latam, während sie stolz ihre Molas zeigt (farbenfrohe, gewebte Stoffe, die von den Guna-Frauen als Blusen getragen werden), die sie im Hafen Niga Kantule verkauft, von wo aus die Boote nach Cartí Sugdub fahren.
Zwar versichert sie, zufrieden mit dem Umzug aufs Festland zu sein, „aber es wird viele Veränderungen geben“, sagt sie. „Hier hören wir jeden Tag das Meer, dort ist es anders, dort werden wir den Lärm der Vögel hören; wir werden nicht wie hier einen Lehmboden haben, sondern einen aus Zement; wir werden keine Hütten haben. Mir wäre es lieber, wir würden unsere Bräuche nicht verlieren und dass unsere Häuser Hütten wären, aber so wurden sie nicht konstruiert”.
Morales wird Hängematten und einen Herd mitnehmen, aber sie fragt sich, wo die Guna ihre Cayuco, traditionelle Boote, und das Haupttransportmittel der Inselbewohner, lassen werden. „Die Regierung sagt, sie respektiere die kulturellen Aspekte, aber so ist es nicht. Es gibt keinen Respekt, weder für die Kultur noch für Bräuche. Viele wollen nicht gehen, weil ihre kulturellen Werte verletzt werden”, sagt Arnelio Brenes, Vorsitzender der Studierendenvereinigung der Guna.
(Anna Edmeades, NPLA)
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